Kurzgeschichten
& Anekdoten

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Drahtbürste beim Einkauf 

Kurze Haare zu haben, hat seine Vorteile. Ich spare mir die Lockenwickler und all den Kram, wegen dem manche Dame bei der Morgentoilette schlechte Laune bekommt. Ich fahre mir morgens einfach mit einem nassen Lappen über die Borsten - und schon ist der Lappen sauber. Ich habe praktisch nie schmutzige Lappen im Schrank. Im Notfall könnte ich mit meinem Borstenkopf sogar die Fliesen im Bad reinigen und benutzte Teller abwaschen. Nur bei der Toilette hätte ich Bedenken. Im Großen und Ganzen ist aber meine Drei-Millimeter-Frisur sehr praktisch - bis auf eine Kleinigkeit: Wenn ich mich ärgere, stehen mir die Haare derart zu Berge, dass ich aussehe wie ein Igel. Manchmal passiert mir das im Verkehr. Deshalb weist der Himmel unseres alten Opels deutliche Kratzspuren auf. Vor einigen Tagen, um ein Beispiel zu nennen, holte ich meinen Sohn mit dem Auto von der Schule ab.  

"Papa, wir brauchen für Englisch ein Heft, wo man von hinten Blätter einsortieren kann, hat unsere Physiklehrerin gesagt."
"Wie bitte? Was hat eure Physiklehrerin mit Englisch zu tun?"
"Keine Ahnung. Vielleicht ist der Ordner auch für Deutsch und es war der Erdkundelehrer. Jedenfalls mit Blättern von hinten."
"Ah ja. Na, du wirst schon wissen, was du brauchst. Wir fahren gleich zum Schreibwarenladen und da kannst du dir das Heft mitnehmen."
"Ein Heft ist das nicht, glaube ich. Ich weiß ja auch nicht genau. Die aktuellen Sachen sollen jedenfalls nach hinten, meinte der Direktor."  

Den Rest der Fahrt bis zum Regal im Laden schwieg ich besser.
"Also, Junge, was brauchst du denn jetzt?"
"So ein Dings, wo man die Blätter von hinten einsortieren kann."
"Also so einen Hefter." Ich zog einen gelben Schnellhefter aus dem Regal und hielt ihn meinem klugen Kind unter die Nase.
"Nein, glaube ich nicht. Da muss man ja immer alles rausmachen um das letzte Blatt hineinzuheften."
"Dann ist so etwas besser." Ich griff nach einem Ordner, klappte ihn auf und öffnete den Bügel. "So. Hier. Da machst du das Blatt rein und schließt den Bügel. Und wenn mehrere Blätter drin sind, schiebst du sie vor dem Öffnen über den Bügel nach vorne und kannst das aktuelle Blatt hinten einordnen."
"Nein, so ein großes Ding hat von uns keiner. Das passt auch gar nicht in den Rücksack. Und von Ordner hat niemand etwas gesagt."
"Ja und was, Herrgott, hat irgend jemand gesagt?"
"Die Putzfrau hat gesagt, wir sollen unsere Papierschnipsel aufheben."
"Willst du deinen Vater auf den Arm nehmen? Was hat das mit dem Ordner zu tun?"
"Wir brauchen ja gar keinen Ordner."
"Du machst mich wahnsinnig. Jetzt schalt dein Gehirn ein und sag mir, was du brauchst!"
"Hab ich doch gesagt. So irgend ein Hefter, in dem das aktuelle Blatt immer hinten ist, hat der Chemielehrer gesagt."
"Bist du dir sicher, dass es der Chemielehrer war? War es nicht vielleicht die französische Putzfrau, die euch vom Direktor ausrichten ließ, dass ihr ein arabisches Linienheft benötigt, in das ihr im Musikunterricht römische Zahlen von hinten nach vorne schreiben könnt?"
"Ja, die Lehrer sind voll blöd."  

Mittlerweile drehten sich die Leute im Laden nach uns um. Eine sanftmütige Verkäuferin wankte auf uns. "Kann ich ihnen denn helfen?"
"Ja", erwiderte ich angesäuert, "vielleicht bekommen sie aus dem Bürschchen heraus, was er kaufen soll."
"Wie groß soll's denn sein?", wendete sich die Neunmalkluge an meinem kleinen Professor. Der deutete mit beiden Händen eine flexible Größe zwischen A0 und Briefmarke an und verzog dabei keine Miene. In mir äußerten sich erste Schamgefühle, als hätte ich den Hosenstall offen stehen. Die Schreibwarenfee fuhr in aller Ruhe mit ihrem Verhör fort. "Welche Farbe soll's denn haben?"
"Für Deutsch haben wir gelb, für Ethik grün, für Mathe blau und für Geschichte rot."
"Und für welches Fach brauchst du das Heft?"
"Das hat Frau Krause ja nicht gesagt."
"Sehen sie?", warf ich ein.

Die Fachfrau glotzte ungläubig. Ihre Kompetenz schmolz dahin wie ein Schokoriegel unter Mutters Hintern.
"Tja, vielleicht brauchst du ja solche Schnellklemmen?" Sie lief zu einem Regal und kramte etwas hervor, verfolgt von gebannten Blicken schaulustiger Einkäufer.
"Oder meinst du so einen Pappschnelleinbinder mit Gummizug?". Sie hüpfte zu einem anderen Regal und hielt eine flaches Pappteil in die Luft. Mit erstickender Stimme machte sie einen letzten Versuch. "Oder so ein Universal... Dings...?", und hielt wieder etwas in die Luft.
Aber mein Genie schüttelte nur mit dem Kopf und mich überkam ein Anfall kreativen Wahnsinns: "Oder meintest du etwa Hinz oder Kunz oder sollst du am Ende Rumpelstilzchen für die Küchenfrauen mitbringen?"
"Aber ich...", schniefte mein Kind, "kann doch nichts dafür, wenn die Lehrer so'n Zeug verlangen."
Die Leute schüttelten die Köpfe und tuschelten. "Das arme Kind. Der Vater hat's auch nicht einfach. Diese Lehrer sind Unmenschen."

Da begann mich der Teufel zu reiten und ich rief: "Ich weiß, was du brauchst!" Augenblicklich kehrte gespannte Stille in den Laden ein. "Einen beidseitig gebügelten Universal-Wende-Hefter mit quergestreifter Lochung, karierten Linien, doppelter Gummiband-Federklemme in unsichtbarem graublaugrüngelb bis auf A12 zusammenklappbar."
Das Gesicht meines Sprösslings hellte sich auf. "Ja, ich glaube, so etwas sollen wir für den Hausmeister mitbringen."
"Aha. Und", wandte ich mich an die Verkäuferin, "haben Sie so etwas?" Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und ihre linke Augenbraue begann zu zucken.
Sie hauchte ein "Nein", hielt sich die Hand vors Gesicht und entschwand in einem Nebenraum.  

Mit gesenkten Köpfen bahnten wir uns eine Gasse durch die Menschenmenge zum Ausgang. Entrüstung machte sich breit:  "Pädagogen sind Verbrecher, Schule gehört abgeschafft, damit die Kinder wieder etwas Vernünftiges lernen und nicht blödsinniges Schulzeug besorgen müssen" und ähnliche Äußerungen.

Draußen an der frischen Luft auf dem Weg zum Auto wurde dann mein Schulkind erleuchtet: "Der rote Ordner war schon fast richtig."

Nur gut, dass DAS niemand mehr gehört hat und in diesem Moment glich mein Borstenkopf einer Drahtbürste.

 

 

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